Ich bin drei. Und ihr Großen dreht euch im Kreis, aber so geht das nicht.

Ich bin drei. Und ihr Großen dreht euch im Kreis, aber so geht das nicht.

Ich komme rein, noch halb warm aus meinem Bettchen zu Zuhause, und hier drin macht das Licht sofort „Aua“ in meinen Augen. Es ist dieses helle Neonlicht, das wie Tag tut, obwohl es keiner ist. Der Boden ist kalt, Linoleum kalt, und ich stelle mich auf die Zehen wie ein kleines Tier, das versucht, nicht den Boden zu berühren. Und dann dieses „Guten Mooorgen!“ – schnell, schnell, schnell, eine Stimme, die lächelt, aber es fühlt sich nicht echt an.

Sie rennt schon, bevor ich meinen Rucksack abgesetzt habe. Die Großen sind immer schnell. Schnell Schuhe aus. Schnell rein. Schnell abgeben. Schnell weg. Schnell, schnell, schnell. Ich mache auch schnell, weil mein Langsamsein hier nicht reinpasst.

Die Erzieherin schaut auf die Uhr. Auf uns. Auf die Uhr. Auf uns. Auf die Uhr.

Sie sagt nichts. Aber ihr Gesicht sagt: Bitte heute keine Tränen. Keine Wut. Kein Geschrei.

Aber ich fühle es. Ich merke das sofort. Mein Bauch fühlt es zuerst. Mein Bauch ist sehr schlau. Die Großen merken das nicht.

Neben mir fangen die anderen schon an: einer rennt, weil er stehenbleiben nicht aushält. Eine schubst, weil sie nicht weiß, wohin mit dem Dröhnen in ihrem Kopf. Ein Junge haut, laut, verzweifelt, und eine andere beißt, weil ihr Körper nur noch schreien kann. Und die Großen sagen: „Hört auf! Nicht hauen! Nicht beißen! Nicht spucken! Setzt euch hin! Bleibt sitzen! Ruhe jetzt!“ Und ich weiß, dass sie es nicht böse meinen. Aber ihre Worte machen uns nicht ruhig. Sie machen uns leer und ungestüm.

Manchmal werde ich auch wild. Ich weiß gar nicht, warum. Es passiert einfach. Mein Körper macht Bumm, meine Hände machen Aua, meine Stimme wird groß, größer als ich. Und ich sehe, wie die Großen dann noch schneller werden. Schnell trösten, schnell beruhigen, schnell ablenken, schnell essen geben, schnell wickeln und schnell aufräumen. Alles hier ist wie ein dauerndes Stolpern, und keiner hat Zeit hinzufallen.

Ich sehe die Großen müde. So erschöpft, dass sie manchmal aus ihren eigenen Gesichtern herausfallen. Ich sehe Eltern, die schon mit schlechtem Gewissen ankommen, die so tun, als wäre es normal, dass man kleine Kinder morgens in einen hellen, lauten Raum bringt, der nicht nach Zuhause riecht. Ich sehe Erzieherinnen, die gleichzeitig fünf Kinder halten, beruhigen müssten, aber nur zwei Hände haben. Die Erwachsenen sagen immer, das sei halt so, das sei normal.

Aber ich bin drei. Ich weiß nicht, was normal ist. Ich weiß nur, was weh tut. Und das tut weh.

Ich will eigentlich nur Gras fühlen, Erde riechen, Baum anstarren, Schnecke gucken. Ich will Zeit. Ich will jemand, der warm ist. Nicht Neonlicht. Nicht Linoleum. Nicht Hände, die schnell anfassen müssen, weil sie gleich weiter müssen. Nicht Erwachsene, die so tun, als wären sie stark, obwohl sie von innen fast durchbrechen. Wir Kinder merken das. Wir merken alles. Wir merken, wenn keiner mehr kann. Und dann können wir auch nicht mehr.

Wir werden dann wild und schwierig. Ihr nennt das ‚auffällig’. Wir zeigen euch das, was ihr nicht mehr fühlt. Und ihr mögt das nicht.

Dabei zeigen wir nur das, was ihr nicht mehr aussprecht. Ich sitze hier, die Füße halb kalt, Augen halb zu, Herz ganz offen, sage ich euch Großen etwas.

Ich bin drei. Ich weiß nicht, was kaputt ist. Aber ich fühle es jeden Morgen.

Ich kann keine Petition schreiben, keine Meetings halten, keine Reform fordern. Aber ich kann sagen: So nicht. So geht das nicht. Nicht für uns. Nicht für euch. Nicht für irgendjemand.

Schlimm ist, dass wir Kinder jeden Tag mit Erwachsenen leben, die wie Geister aussehen. Schön angezogen, organisiert, funktional und gleichzeitig verloren, erschöpft und leer. Wir spüren euch nicht mehr. Ihr seid nicht in eurem Körper. Nicht bei euch. Und wenn Erwachsene nicht mehr da sind, dann holen wir uns Orientierung bei Gleichaltrigen. Wir machen uns die Welt dann selbst, mit unseren kleinen Mitteln, unseren kleinen Ängsten, unseren kleinen Wutbäuchen. Und niemand hält uns. Niemand reguliert uns. Niemand zeigt uns, wie man innen wieder ruhig wird.

Wenn das so weitergeht, wachsen wir in einer Welt auf, in der die Kleinen kleine Leuchttürme sein müssen, weil die großen Leuchttürme ausgegangen sind. Und das ist verkehrt. Das ist gefährlich. Das müsstet ihr eigentlich sehen.

Ich bin drei. Und ich weiß nicht, wie man eure Rechnungen bezahlt und wie man das Erwachsenen-Zeug macht. Aber ich kann sagen, was wir brauchen.

Ich finde große Menschen toll, die wirklich da sind.

Die in ihrem Körper wohnen. Da fühle ich mich gut. Da werde ich ruhig.

Wenn ihr glaubt, es sind die anderen Kinder, die wir brauchen, das bunte Spielzeug und und die Erwachsenen als Zeitmanager, dann täuscht ihr euch sehr.

Was wir brauchen sind Erwachsene, die sagen:

Es ist genug. Ich kann und will nicht mehr. Hier bleibe ich stehen. Ich werde mein Leben drehen, statt uns so sehr zu drängen.

Ich bin drei. Und ich kann das alles schon sehen und ich warte darauf, dass ihr das Ruder rumreisst.

 

Seit vielen Jahren begleite ich Teams und Eltern an genau diesem Punkt: dort, wo es weh tut und wo etwas Neues beginnen will. Wenn du darüber sprechen möchtest, dann findest du mich.


Echt jetzt? Es ist Zeit "Nein" zu sagen.

Echt jetzt? Es ist Zeit "Nein" zu sagen.

Ich habe derzeit den Eindruck, dass der ganze Irrsinn bezogen auf Kinder, Erziehung, Familie und Lernen gerade an die Oberfläche spült. Viele Menschen nehmen Tendenzen wahr, die man nicht für möglich gehalten hätte.
Bei allem, was sich zeigt, weiß ich im selben Moment, dass es Ausnahmen gibt. Ich erlebe es täglich. Das finde ich tröstlich.

Aber es reicht nicht.

Ich habe die Gelegenheit mehr denn je meine Wut und meine Ungeduld in der Tiefe anzuschauen.
Es sind sehr bedenkliche Ideen und Praktiken, die wir Kindern zumuten.

  • Da könnte ich anfangen bei dem, was wir jungen Menschen in den letzten 4 Jahren angetan haben.
    Wie wir sie bessern Wissens auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene misshandelt haben. Wie wir (als Gesellschaft) geschwiegen haben und mitgemacht haben.
  • Da ist die Tatsache, dass wir schon die Kleinsten von den Eltern und deren Einfluss zu trennen suchen. Wider all unserem Wissen zu einem gedeihlichen Aufwachsen.
  • Täglich schicken wir Kinder in ein System, dass zutiefst krank ist.
  • Es baut auf Angst und Kontrolle auf. Maßnahmen gleiten den Erwachsenen aus der Hand.
    Gewalt, Mobbing und Manipulation nehmen in den Einrichtungen (man beachte das Wort) ein Maß an, das nicht mehr zu handhaben scheint.
  • Schon in Grundschulen zeigen sich gesellschaftliche Auswüchse, die mir die komplette Ohnmacht der Erwachsenen aufzeigt. Ja, ich nehme mich da gerne mit ins Bild.

Weiß ich doch, wie schwer es ist, „nein“ zu sagen zu einer Welt, die dem gesunden Aufwachsen nicht dient.

In der Folge

„Ja“ zu sagen, zu der Entscheidung, mein Kind da nicht mehr hinzuschicken.
„Ja“ zu sagen, zu dem Wunsch, dem Kind eine bessere Umgebung zu ermöglichen.
„Ja“ zu sagen, zu der Entscheidung nicht mehr im derzeitigen Bildungssystem arbeiten zu können.
„Ja", zu sagen für menschliche Lebensvorstellungen und Haltungen.

„Ja“ sagen für gewisse Werte und deren Umsetzung im Alltag, ohne vielleicht zu wissen, was morgen ist.

Erst kürzlich habe ich ein Gespräch mit Eltern geführt, die genau auf diesem Sprungbrett standen. Und ich habe sie bewundert.
Ich weiß genau, wie sich das anfühlt. Ich kenne das, ich bin in den letzten 30plus Jahren, bezogen auf Erziehung und Lernen mehrmals an dieser Stelle gestanden - und - gesprungen.

Ich frage dich:

  • Wollen wir sorglose Kindheit weiterhin verunglimpfen?
  • Wollen wir es wirklich zulassen, dass nun die Kinder in der Schule auf Krieg vorbereitet werden sollen?
  • Wollen wir weiterhin zulassen, dass ihre gesunde Identitäts-Ausreifung durch schräge Vorstellungen in Bildungsplänen, in krankhafte Verunsicherungen getrieben werden?
  • Wollen wir sie von ihrem Körper und ihrem eigenen Empfindungen zukünftig noch mehr in eine maschinenhafte und konsumgesteuerte Identität jagen?
    Wollen wir wirklich, dass uns Angst, Kontrolle und Verunsicherung als wertvolle Grundlage in Erziehungsprozessen verkauft werden soll?

Echt jetzt?

Wir können von Tieren lernen. Sie beschützen ihre Kinder! Wo sind diese Erwachsen?

Ich ziehe den Hut vor allen Eltern und Pädagogen, die „nein“ sagen und vielleicht auf etwas wackeligen Füßen neue Wege gehen.

Welche Zukunft wünscht du dir für Kinder und wie möchtest du sie ab heute vertreten? Wie sieht die Welt aus, in der du leben möchtest?