Blinder Gehorsam. Warum ich Kinder lieber sehend wissen möchte.

Blinder Gehorsam. Warum ich Kinder lieber sehend wissen möchte.

Noch immer steckt Gefügigkeit und Gehorsam tief in unseren Ansätzen zu Erziehung und Lernen. Sich dieser Haltungen bewusst zu werden und sie an die Oberfläche zu holen, halte ich für eine wichtige Aufgabe. Wenn man genau hinschaut, findet man den Wunsch nach blindem Gehorsam in vielen Bereichen.

Vor einigen Tagen habe ich einen Videoausschnitt gesehen, in dem ein Schäferhund gezeigt wurde, der bei einem Wettbewerb oder einer Gehorsamkeitsprüfung eine besondere Medaille gewonnen hat. Ich sah also einen Hund, der auf dem Wettbewerbsplatz neben seinem ‚Herren‘ saß und innerlich gespannt wie ein Flitzebogen war. Ich sah ein ‚Herrchen‘, der gut durchtrainiert war und der in seiner ganzen Erscheinung wie ein Soldat aussah. Er verzog keine Miene und man hatte den Eindruck, dass er einen Stock verschluckt haben könnte. Der Wettbewerb startete und die beiden liefen los. Offensichtlich war die Aufgabe, dass der Hund seinem ‚Herrchen’ folgt, das ganze ohne Leine und mit einem Minimum an körperlich sichtbaren Anweisungen.

Der Hund war in der Art trainiert, dass er mit dem Kopf beim Laufen in den Himmel schaute. Eine unnatürliche Haltung für einen Hund. Das Ganze sah etwas skurril aus, aber offensichtlich entsprach es den gestellten Anforderung, ja wurde sogar als ausgezeichnet angesehen. Da der Hund in dieser Körperhaltung wenig sehen kann, kann er gehorsam sein. Mir fiel unmittelbar das Wort „Blinder Gehorsam“ ein. Man kann ihn in Mensch und Tier hervorbringen. Es funktioniert, dabei werden Topleistungen erbracht. Dem Auge eines sensiblen Betrachters entgeht nicht der Preis, der dafür gezahlt wird. Würde geht dabei verloren und noch viel mehr.

Äußerlich betrachtet sah alles korrekt aus. Man konnte den Eindruck haben, dass die beiden ein starkes Team sind. Und doch fand ich es einfach nur widerlich. Genauso widerlich, wie wenn ich so manche Pferdeveranstaltung anschaue. Wenn ich mir die Trainingsmethoden dazu betrachte, dann weiß ich, dass diese superintelligenten Tiere durch allerhand Methoden und Hilfsmittel in der Art trainiert werden, dass sie nicht gut sehen können. Manche Pferde werden so trainiert, dass sie den Kopf auf unnatürliche Weise nach unten halten müssen. So können sie wenig sehen.
Sie werden ihrer Sinnesstärke beraubt. Sie dürfen nicht Pferd sein. Gehorsam und Gefügigkeit werden so erzwungen.

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Äußerlich sieht man ein ‚korrekt’ gerittenes Pferd (vorgeführten Hund). So manchem Betrachter entgeht aber nicht, dass es ein Pferd ist, dass in eine Haltung gezwungen wurde, die von ihm verlangt, sich in so großem Maße unterzuordnen, dass die ganze Erscheinung oder das Pferd-Mensch Team eher einer roboterhaften Darbietung gleichkommt.
Die Natur des Lebewesens wurde mit List und so manches mal auch mit Gewalt unterdrückt, so dass es vordergründig eine gute Performance sein kann, hintergründig ist es seelischer und körperlicher Missbrauch.

Gehorsam, auch bei Kindern wird immer in gewisser Weise erzwungen. Das Dumme ist, dass es funktioniert. Vordergründig funktionieren unsere erzieherischen Maßnahmen und Interventionen noch immer. Gewünschte Leistungen werden erbracht, doch der Preis ist immer hoch. Etwas geht dabei immer verloren. Ein Funkeln in den Augen, eine Lebendigkeit im körperlichen Ausdruck, eine tiefe nährende Atmung, die Würde, die Integrität uvm.

Ich glaube, dass wir uns erst ganz am Anfang davon befinden, eine Vorstellung davon zu bekommen, wie ein Leben mit Kindern aussehen kann, in dem die alten Formen der Disziplinierung und das Einfordern von sofortigem und unbedingtem Gehorsam auf ein Höchstmaß minimiert werden.
Zu sehr stecken diese alten Vorgehensweisen, wie man Menschen ( und Tier) zum ‚Funktionieren‘ bringt, in uns drin. Es braucht ein großes Maß an Bewusstheit, um diese eingebrannten Muster langsam und respektvoll aus dem eigenen System zu schleichen.

Gerade die Kinder der heutigen Zeit scheinen hier große Lehrmeister zu sein. Viele, die ich kenne, fordern die Erwachsenen geradezu heraus, ihre Ideen zu Gehorsam und Erziehung gnadenlos zu hinterfragen. Und das mit gutem Grund.
Vor wie nach wird ein Umdenken in Erziehung und Lernen nicht durch das Umlegen irgendeines Schalters hervorgebracht, sondern durch ein erhöhtes Bewusstsein und den Willen sich dem unbequemen Nichtwissen zu stellen, wie es denn anders gehen könnte? Wir müssen das regelrecht 'neu' in Erfahrung bringen, den Mut aufbringen uns nach unserer inneren Wahrheit neu zu erfinden.
Viele haben sich auf den Weg gemacht. Dafür bin ich ausgesprochen dankbar.

Nachsatz: Auch was Hunde und Pferde betrifft, so weiß ich einfach, dass es anders geht. Topleistungen können erbracht werden und sie gründen auf eine wundervolle, würdige Beziehung.

Gerne lese ich von dir.


Zwischen ‚do what you love‘ und ‚das Leben ist kein Ponyhof‘

Anhand eines persönlichen Beispiels, beschreibe ich ganz aktuelle, persönliche Herausforderungen, die sich natürlicherweise in einer Familie stellen, wenn man sich aufgemacht hat, einen Weg mit mehr Freiheit und Selbstbestimmung zu gehen.

Das Bedürfnis den Kindern keinen blinden Gehorsam mehr abzuverlangen wird unter vielen Erwachsenen immer größer. Die Rufe nach mehr Selbstbestimmung in Erziehung und Lernen werden lauter. Die Initiativen von Menschen, Kindern mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen werden vielfacher und vielschichtiger. Der Wunsch Bildung und Erziehung nicht mehr zu verordnen, sondern in Beziehung zu gehen und gemeinsam zu wachsen, liegt am Zahn der Zeit.

Nichts desto trotz müssen all diese Schritte erst einmal gegangen werden. Fertige Lösungen sind in Entwicklung, aber keinesfalls fertig. Wie auch?

Die Wege sind alles andere als einfach und auch ganz gewiss keine ausgetreten Pfade. Aber die Luft bei diesem vermeintlichen Aufstieg in etwas Neues wird klarer. Sie riecht gut. Sie nährt den Körper mit frischem Sauerstoff, läßt durchatmen und wenn man dann bei der Wanderung oberhalb der Baumgrenze angekommen ist, dann fühlt es sich gut an. Man hat mehr Überblick und eine Gefühl von Weite in der Brust.

In wenigen Tagen wird meine Tochter sich in einer neuen Initiative umschauen. Sie hat sich auf die Reise gemacht, weil es ihr in der Schule, die sie derzeit besucht zu eng wird. Sie wird im Moment ein beklemmendes Gefühl nicht los, dass sich wie ein Eisenring um ihren Brustkorb schliesst.

Als Kind, dass sich im Leben schon recht früh für einen freien und selbstbestimmten Lernweg aufgemacht hat, ist der nun gewählte Weg in einer Regelschule, mit bestimmten Bedingungen und Sichtweisen, sehr gewöhnungsbedürftig.

Sie, wie viele junge Menschen auf einem von Selbstbestimmung getragenen Weg, hat einige wesentliche Dinge gelernt, von den sie jetzt schmerzlich erfahren muss, dass sie in keiner Weise eine Selbstverständlichkeit sind.

Früher hat sie zu großen Teilen erfahren dürfen, dass Spiel und Lernen keine Gegensätze sind.

Sie ist nun konfrontiert mit der immer noch sehr verbreiteten Ansicht:

Erst die Arbeit dann das Spiel. Das Arbeit etwas anstrengendes ist, dass sie mühevoll ist, dass man da durch muss, dass der Ernst des Lebens irgendwann beginnt und man sich besser darauf vorbereitet. Das das Leben kein Ponyhof ist.

Sie ist nun eingebunden in eine Gemeinschaft, die ihr die Mühen und Lasten des Lernens als Wahrheit verkaufen will. Die ihr sagt, dass sie sich besser mal zusammenrissen solle, dass nun der Spass der Kindheit vorbei sei, dass man sich an ein Druck- und Regelwerk gewöhnen müsse, dass der Stress, den man ihr zufügt, zu ihrem eigenen Besten sei.

Nimmst du diesen perfiden Geruch des emotionalen Missbrauchs wahr, der in diesen Grundeinstellungen liegt?

Da ist dieser junge Mensch, der schon viele Jahre nach einer ganz anderen Grundannahme lebt und es damit ‚weit‘ gebracht hat . Nun ist diese Jugendliche in diesem anderen Lernsetting gefragt, diese wohl funktionierenden Voraussetzungen für ein frei und selbstbestimmtes Lernen zu kreuzigen.

  • Alles, was sie bisher gelernt hat, hat sie in einem sehr großen Maß selbst gewählt. Man hat heraus gefunden, dass ein großes Maß an Selbstbestimmung über das eigene Tun, förderlich für die Gesundheit des Menschen ist (für groß und klein)
  • Sie hat gelernt, was sie gewählt hat auch in einem großen Maß nach ihren Regeln und in ihrer Art durchzuführen. Natürlich gibt es ein Regelwerk, doch darin ist sie völlig frei, es in der Form umzusetzen, wie es ihrer ‚Art‘ entspricht. Dadurch hat sie gelernt ein hohes Maß an Kreativität entfalten und leben zu können.
  • Sie hat erfahren dürfen, dass ihre Entscheidungen für ihr Tun und für den Alltag in großem Maß von innen geleitet sind. Die Freude am eigenen Tun und die Auseinandersetzung mit diesen selbstgewählten Themen geben den Treibstoff. Eine wundervolle Art, die Kräfte aus dem eigenen Inneren zu beziehen und nicht von äußeren Faktoren oder guten Noten abhängig zu machen. Ihr Tun in ihrem Alter war nicht in so großem Maß von der Erlangung eines spezifischen Ergebnisses abhängig. Es ging vielmehr um das Tun, den Prozess und nicht um ein möglichst gutes, fertiges Ergebnis. Auch diese Grundvoraussetzung ist ein unmittelbarer, wichtiger Faktor für Kreativität und Querdenken.

Interessanterweise haben junge Menschen, die diese Wege gehen genau jene Skills, die heute am Arbeitsmarkt gefragt sind. Es sind Jobs, die dieser Qualitäten bedürfen. Es sind Jobs, die in ihren Aufgaben komplex sind. Eine große Flexibilität und Beweglichkeit ist erforderlich. Es sind Jobs, die kein großes Maß an Kontrolle bedürfen, die in der Eigenverantwortung getragen sind.

Ich gehe fest davon aus, dass sich durch diese neuen Wege und Erfordernisse ganz andere Erziehungsstile und Bildungswege entwickeln müssen.
Wenn ich früher mal gedacht habe, dass die Wege für meine Kinder leichter werden, wenn sie freier und selbstbestimmter lernen können, dann weiß ich heute, dass es nur die halbe Wahrheit ist. Die ganze Wucht des anderen Weges kommt nämlich in dieser oder jener Form auf sie zurück. Es wird dann ihre Aufgabe sein, hier neues Verständnis zu bauen. Spannend.

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Ich selbst erfahre mich darin mehr demokratische Strukturen in der Familie etablieren und leben zu wollen. Durch das Ermöglichen eines großen Maßes an Selbstbestimmung, bin ich sensibel darin geworden jungen Menschen keinen blinden Gehorsam abzuverlangen. Insgesamt muss ich mich selbst herausschälen aus einem autoritären Erziehungsstil und hier selbst Brücken in mir selbst bauen. Von meiner Herkunft, hin in ein neues Bild.

Für junge Menschen, die ein gutes Stück in diesen freieren und ‚selbstbestimmteren Wegen gegangen sind, kann es unter Umständen schwierig sein vermeintlich zurück zu gehen. Einmal diesen Weg eingeschlagen, bedeutet im Grunde genommen weiter auf holprigen Wegen zu gehen. Nach meiner Erfahrung mit meinen Kindern, ist der Weg zurück in ein mehr konservatives Lern- und Arbeitsfeld meist schwierig.
Das darf man aber auch nicht so eindimensional sehen, da auch diese jungen Menschen, die dann unter Umständen selbstgewählt in bestimmte Strukturen lernen und arbeiten, dann genau da an einem richtigen Platz sind, um notwendige Veränderungen voran zutreiben.

Wie es mit meiner Tochter weitergeht, kann ich noch nicht sagen. Sie muss schauen, sie muss sich dort einfühlen. Es sind ganz viele Faktoren mit auf der Waagschale, die sie in ihren selbstgewebten Lebens-Lernweg einbeziehen wird. Faktoren die links und rechts dessen liegen, was ich als Mutter hier zu beschreiben suche. Sie ist nun in einem Alter, in dem sie ihre Entscheidungen sehr eigenständig trifft.

Ich möchte euch ermutigen mit den Kindern gemeinsam diese ‚neuen‘, wenig ausgetretenen Pfade zu gehen. Alles ist im Grunde da, die Herausforderung besteht darin, es zu entdecken und sich zu eigen zu machen.

Junge Menschen tragen so Vieles in sich. Wenn die Älteren beginnen, gemeinsam mit ihnen die Fußfesseln zu entfernen, dann kann was Tolles daraus werden.