Ich meine, es wäre gestern gewesen, als mein Sohn wutentbrannt vor dem Computer saß und das Computerspiel ‚Autos bauen mit Willi Werkel‚ einfach nicht ‚machte‘, was er wollte. Heute sitzt er unten und schraubt gerade mein Laptop auseinander, weil es ein Problem mit der Festplatte gibt, er studiert Informatik.
Ich meine, es wäre gestern gewesen, als mein Sohn diesen Nagel in die Steckdose steckte und im selben Moment sicher alle Schutzengel zugegen waren. Heute baut er mal eben eine Computermaus um, zeigt mir mit Stolz, wie man diese Technik umfunktionieren kann, programmiert mal gerade wieder ein neues Computerspiel.
Ich meine es wäre gestern gewesen, als meine Tochter als Baby stundenlang auf dem Rücken liegen konnte und diesen einen Gegenstand von rechts nach links in ihren Händchen bewegte, ihn beroch, in den Mund steckte und ich mich fragte, wie man so viel Interesse an einem Gegenstand und dessen Details haben kann. Heute kann sie stundenlang Entwürfe für beispielsweise Buchcover entwickeln, Gegenstände designen, einen Prototyp in 3D mal eben schnell ausschneiden und zusammenkleben. Sie studiert Creative Design.
Ich meine es wäre gestern gewesen, als mein Sohn etwas zu polterhaft mit kleinen Kindern war. Wenig Rücksicht kannte, den größten Nachtisch beanspruchte und völlig unbeirrt in aller Öffentlichkeit eine Szene lostreten konnte. Heute kümmert er sich sehr fürsorglich um kleine Kinder, kann zuvorkommend und vor allem rücksichtsvoll sein. Dies in einer Art, dass man sich fragen mag, von wo diese Fähigkeiten plötzlich da sind.
Ich meine es wäre gestern gewesen, als meine Tochter mit ihrer Windel am Po auf der Küchenanrichte gesessen hat. Sie hat beim Kochen zugesehen, mal im Topf gerührt, mal was dazu geschüttet, mal die Finger reingesteckt und abgeleckt. Heute kocht sie, ohne große Vorbereitung ein schmackhaftes Essen für 7 Personen, aus Dingen, die sie im Kühlschrank findet.
Ich meine es wäre gestern gewesen, als meine Tochter sich nicht anders zu helfen wusste, als zu wüten und ihren Geschwistern an den Haaren zu ziehen, wenn das Leben nicht so wollte, wie sie. Heute leitet sie sehr souverän Diskussionen, lässt andere zu Wort kommen, hat Mitgefühl für kleine Kinder, die an dieser Stelle stehen. Wirkt ausgleichend und beruhigend.
Was ist inzwischen geschehen? Was ist in der Zwischenzeit alles passiert, wovon ich im Alltag kaum etwas mitbekommen habe?
Ich beobachte diese eintausend Schritte, die sich fast unbemerkt von mir vollzogen haben.
Ehrfürchtig stehe ich davor und frage mich täglich, an welcher Stelle ich dazu tun darf und an welcher Stelle es vielmehr angebracht ist, als Elternteil aus dem Weg zu gehen ?
Was bleibt ist im Grunde eine Menge Ehrfurcht vor den Prozessen, des wundersamen Lernens. Vorgänge, die sich einfach vollziehen, wenn Lernen stimmig ist, wenn das Leben den Tanz führt.
Hierhin möchte ich die Aufmerksamkeit der LeserInnen richten. Lernen ist in vielen Fällen das, was sowieso geschieht. In dem Zusammenhang wünsche ich mir:
Etwas mehr Ehrfurcht bitte.
Schon bald findet das nächste Tagesseminar hier in der Mühle statt. Nähere Info dazu findest du hier.
Danke, jetzt muss ich heulen! 😉 Alles so wahr! Ich schau mir jeden Tag unsere fünf Wunderkinder an. Ich weiß, sie werden ihren Weg gehen und tragen alles in sich, diesen zu gehen. So wie alle Kinder. Das muss jetzt nur noch das Schulsystem erkennen. Aber das wird schon!
Danke für diesen berührenden Kommentar. Dem ist sicher nichts zu ergänzen. Beste Grüße Uta