Nur ein Augenzwinkern, dann ein verändertes Kind. Wie ich lerne ständig neu Maß zu nehmen.
Meine Kinder leben Wochen oder Monate nicht zu Hause. Sei es, dass sie studieren oder zu einem Internat in England gehen, dass ihnen in großem Maß ein freies und selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Sie besuchen eine Schule, die zwar Unterricht anbietet, aber es den Schülern völlig überlassen bleibt, ob sie den Unterricht besuchen oder nicht. Sie werden dort auch nicht benotet, sondern es gibt schriftliche Einschätzungen. Ich als Mutter habe kein Recht, Informationen über meine Kinder einzufordern.
Die Kinder leben ein sehr eingeständiges Leben und lernen ihre Entscheidungen selbstständig zu treffen.
Wenn sie beispielsweise in den Sommerferien nach Hause kommen, dann benötigen wir gemeinsam immer wieder gut eine Woche, bis wir wieder eine Form miteinander gefunden haben und uns neu aufeinander einlassen können.
In meiner Familie findet eine andere Art von Miteinander statt. Sie hat sicher Vor- und Nachteile.
Was mir in jedem Fall aber sehr deutlich ist, ist, dass wir immer wieder Zeit miteinander benötigen, um uns völlig neu aufeinander einzulassen. Gerade gestern las ich dieses Zitat von G.B.Shaw
Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen, in der Meinung, sie passten auch heute noch.
Beim Lesen dachte ich, dass diese Lebensart, die wir haben, immer wieder von mir fordert, dass ich an meinen Kindern neu Maß nehmen muss. Auch die Kinder müssen an mir neu Maß nehmen.
Vor einigen Tagen sprach ich mit einer Mutter, die mir verdeutlichen wollte, dass es von Nachteil sei, wenn Kinder nicht im eigen Haus, sozusagen im ‚eigenen Bratensaft garen‘ . Ich habe mir ihre Worte sehr zu Herzen genommen und es hat mich seither sehr beschäftigt.
Nach einigen Tagen komme ich für mich zu dem Schluss, dass für mich und bezogen auf meine Beobachtungen, die Vorteile überwiegen, die ich wahrnehmen darf.
Ich muss in den Ferien, um die Beziehung zu den Kindern immer wieder ‚neu‘ zu beginnen, neu Maß nehmen. Ich bin gefordert anzuerkennen, dass ihr Leben zur Zeit ihrer Abwesenheit weiter gegangen ist, meines aber auch. Die Lebensumstände verlangen von uns, dass wir in jeder Ferienzeit mit Achtsamkeit und Wohlwollen immer wieder neu aufeinander zugehen. Ich finde, dass dies wunderbare Voraussetzungen für Begegnungen sind, die frisch und neu und möglichst respektvoll sind.
Manchmal gelingt es besser, manchmal gelingt es schlechter. Was bleibt ist, immer wieder offen für das Neue zu sein, neu Maß zu nehmen.
Wenn die Kinder nach einigen Wochen wieder kommen, dann fallen mir diese Veränderungen oftmals an den Bemerkungen oder Taten auf, die sie machen.
- „Mein Zimmer ist so klein geworden.“
- „Gibt es irgendetwas Neues zu Hause?“
- Sie stellen fest, dass beispielsweise das Zimmer plötzlich zu ‚girlyhaft‘ geworden ist.
- Die Kleidungsstücke der letzten saison gefallen ihnen gar nicht mehr.
- Sie mögen dieses oder jenes Lebensmittel plötzlich nicht mehr.
- Diese oder jeden Freunde spielen eine andere Rolle.
- …
Ich bemerke dann, dass ich besonders achtsam mit meinen Bemerkungen sein muss, denn ich darf sie nicht ‚zurückbewegen‘ an die Stelle, an der sie mal standen, an der wir uns zuletzt gesehen hatten. Es ist, als ob dieser Mensch, der noch vor kurzem die rosa Bettwäsche mochte, plötzlich nicht mehr da ist. Er ist gegangen. Ein neuer Mensch steht da.
In meinem Fall, ist es sicher so, dass die Zeitspannen, in denen ich meine Kinder nicht sehe, manchmal so groß sind, dass Veränderungen sehr offensichtlich sind. Ich begrüße am Flugplatz einen jungen Mann, der nun plötzlich eine Hand breit größer ist als ich. Ich begrüße eine Tochter, die in wenigen Wochen eine junge Dame geworden ist.
Das Leben ist inzwischen weiter gegangen. In der Bewegung des Lebens muss ich die Beziehung, die da ist, sozusagen neu zur Entfaltung bringen. Meine Erwartungen daran, dass all das sofort wieder da ist, dass ich da ansetzen kann, wo ich Tschüss gesagt habe, muss ich zurückschrauben. Sowohl die Erwartungen an mich, als auch die, an meine Kinder. In meinem Fall ist es machmal sehr offensichtlich, dass große Veränderungen stattgefunden haben, denn es liegt eine große Zeitspanne dazwischen.
Mein Augenmerk möchte ich heute darauf richten, dass im Grunde dasselbe der Fall ist, wenn dein Kind heute morgen in den Kindergarten gegangen ist. Es ist dasselbe, wenn dein Kind vom Fussball nach Hause gekommen ist. Es ist dasselbe, wenn dein Kind ein Wochenende, mit dem von dir getrennten Partner, verbracht hat. Ja, es ist auch dasselbe, wenn dein Kind aus dem Mittagsschlaf aufgewacht ist. Das Leben ist ‚weiter‘ gegangen. Wir Erwachsenen haben oftmals nicht die Information, was inzwischen genau geschehen ist. Aber das Leben ist inzwischen ‚weiter‘ gegangen. Und das Kind, dass ich heute morgen in den Kindergarten brachte, ist nicht dasselbe, als das, was ich abholte. Das Kind, dass ein Wochenende mit seinem Vater verbracht hat, ist nicht dasselbe, dass ich abholte.
In diesem kleinen Video hast du im Grunde genommen die Zeitraffer einer Entwicklung eines jungen Mädchen in 2,5 Minuten. Wenn die Zeit der Wahrnehmung von Entwicklung eine andere Rolle als Zeitraffer spielt, dann sind wir an dem Punkt, von dem ich spreche. Sowohl die Zeitraffer als auch eine Zeitlupenbetrachtung der Entwicklung deines Kindes haben beide die Gemeinsamkeit, dass das Leben einfach weiter geht.
https://youtu.be/RtyqS68ViWk
Ich finde, dass es in meiner Verantwortung als Erwachsene liegt, den Faden der Beziehung wieder neu aufzugreifen, achtsam und bedacht zu sein. Es hat etwas mit Respekt zu tun, mit dem Respekt gegenüber dem Leben des anderen, Respekt gegenüber den ureigenen Erfahrungen des anderen.
Ich habe mich gefragt, ob es einen Unterschied macht, ob die Erfahrungen der Zwischenzeit guter oder schlechter Art gewesen sind?
Auch hier komme ich zum derzeitigen Stand meines Irrtums. Diese Formulierung mag ich sehr gerne, denn sie drückt den prozesshaften Charakter meiner Erfahrungen und Erkenntnisse aus.
In beiden Fällen will ich mit Achtsamkeit und Wohlwollen vorgehen, aus Respekt vor dem Erleben des anderen.
Ich bin dankbar, dass mir das Leben diese Art ‚Übung‘ in den Wahrnehmungen der Zeitqualitäten im Leben mit den Kindern, zugesteht.
Ich lade dich zu meinem nächsten Tagesseminar am So 25.09.16 ein. Meine Seminare sind bekannt dafür, dass ich die Herausforderungen um Erziehung und Lernen in der Art mit dir angehe, die es dir erlaubt eine Menge Innenschau zu halten. Auf diese Art hast du Gelegenheit herauszufinden, wer du bist und wer du bezogen auf Kind und Familie sein möchtest. Du erhältst wertvolle Informationen, wie du weitere Schritte in deine Richtung gehen kannst.
Ja. Meine Mutter warf mir auch vor, die Familie nicht zusammenzuhalten, weil die Kinder ihre Ausbildung/ Studium außerhalb absolvierten. Sie kamen immer zurück gereift, gestärkt und ich war auch verändert. Bis heute ist das so. Jetzt kommen Enkel dazu, die Beziehungen verändern sich erneut. Ich finde es toll.
Ich danke für deinen Kommentar und die Ermutigung. Bin gespannt, wie es weiter geht…LG Uta
SUGGESTION zu kennen und können zu lernen ist von zentraler Bedeutung für alle Pädagogik.
In Suggestion steckt das deutsche Wort GESTE.
Eine Geste – so fein sind die entscheidenden Wirkungen für unser Leben.
Durch unsere lebensblinde Papierpädagogik sind wir darauf dressiert, im Misserfolgsfalle zu immer noch gröberen Mitteln zu greifen: Be-mühung, An-strengung, Überwindung. Damit bleiben wir regelmäßig stecken und erschöpfen – sinnlos unsere Kräfte.
SINN kommt von ahd. „sinan = der Weg“.
Wir verbauen uns also, wenn wir dieser „Pädagogik“, die durch DRUCK gekennzeichnet ist, folgen selbst unseren Lebensweg.
Ein Augenzwinkern, ein Nicken, irgendeine Geste des Erkennens und Achtens der GÜTE im Menschen im rechten Augenblick im rechten Geiste, damit sind wir dabei, wenn die Welt sich bewegt.
Es freut mich ganz besonders, dass ich hier ein Beispiel für FEIN-Fühligkeit finde.
Da wir durch „pädagogische“ Grobheit und Plumpheit und Überanstrengung den meisten Menschen ihre LENKUNG blockiert und falsch programmiert haben, wird es ganz besonders wichtig, dass Menschen
a) ihre eigene Wirkung und die der anderen spüren lernen
b) Blockaden in sich und anderen fühlen und
c) SOG-Wirkung für eine Lösung erzeugen.
Wenn mir z.B. ein Kind sagt: „Ich kann nicht rechnen“, dann interessiere ich mich voll für seine Rechentalente, lasse aber das Kind in Ruhe.
Mir geht es dann mit seinen Rechentalenten gut und diesen mit mir.
Und wenn das Kind das auch so gut haben will wie ich, dann muss es anfangen, mit seinen Talenten mindestens so gut umzugehen wie ich.
Wenn es sich dafür entscheidet, dann ist das sein Werk, und wenn es sein Werk ist, dann wächst es dadurch.
Und wenn mir diese einfache Gesetzmäßigkeit des Lebens bewusst ist, kann ich das Geschehen voll genießen.
Das Leben lebt auch im anderen zur Belebung dessen, der es versteht und achtet und begünstigt.
Wenn wir ihm dienen, arbeitet das Leben immer mit uns zusammen.
Ich freue mich über/auf Euren Erfolg.
Franz Josef Neffe