DAS HAT HAND UND FUSS – WAS EIN BABYFUSS, EIN SCHMIED, EIN PFERD UND EIN 3-D AUTO MIT WAHRER BILDUNG ZU TUN HABEN SOLLTEN.

Wir haben etwas Entscheidendes aus den Augen verloren.Wir erziehen und bilden Kinder, als bestünde Entwicklung aus Daten, Tests und abrufbarem Wissen.Dabei verlieren wir das, was uns zutiefst menschlich macht: die Fähigkeit, mit unserem ganzen Wesen zu lernen. Mit Körper, Sinnen, Herz und Geist.

Ich weiß, wie es aussieht und vor allem, wie es sich anfühlt, wenn wahre Entwicklung gelingt.
Ich habe es gesehen und gespürt.

 

In einer entwicklungsneurologischen Praxis, in der ich einmal gearbeitet habe, konnte die Ärztin allein an einem Babyfuß erkennen, wie weit das Kind gereift war.
War der Fuß weich und „teigig“, wusste sie: Die innere Ordnung hat die äußersten Enden noch nicht erreicht.

War der Fuß klar geformt, jedes Gelenk und jede Linie differenziert, wusste sie: Das Innere hat den Körper vollständig durchdrungen. Sie konnte die die Färbung der Haut, bestimmte Farbnuancen und Linien differenzieren. Jahrzehnte an Erfahrung, an Feinheit die ihr Körper, Seele Geist System in bedeutungsvolle Zusammenhang setzen konnte. 

Es war, als könnte sie mit den Augen eine Landkarte lesen, die für andere unsichtbar blieb.

Ich habe es bei meinem Schmied gesehen, der Pferde beschlug.
Er setzte den Nagel an und fühlte mit der Fingerspitze seines Mittelfingers, ob der Nagel den richtigen Weg nahm.
Dann hörte er, am feinen Unterschied des Klangs, wenn der Hammer den Nagel traf, ob er den sicheren Weg nahm oder in empfindliches Gewebe zu geraten drohte.

Dieses Hören und Fühlen, miteinander verwoben, war reine verkörperte Meisterschaft, gewachsen aus Jahrzehnten, bis der Körper wusste, was der Kopf nicht mehr benennen musste.

Ich habe es bei meinem Sohn erlebt, der als Jugendlicher unzählige Stunden mit 3D-Animationen verbracht hatte.
Eines Tages erklärte er mir: „Wenn ich ein Auto von einer Seite sehe, weiß ich sofort, wie es von der anderen aussieht.“
Er musste nicht darum herumlaufen.
Sein Gehirn hatte durch die Arbeit im virtuellen Raum eine innere Landkarte entwickelt, die das Fehlende ergänzt, ein Sehen mit allen Winkeln gleichzeitig. Auch er hatte sozusagen die Fähigkeit zu ‚rendern’ in seinem System freigeschaltet.

Ich habe es bei einer Freundin erkennen dürfen, die in einem besonderen Bewusstseinszustand plötzlich Englisch sprach und verstand.
Im Alltag beherrscht sie die Sprache nicht.
Aber in diesem Moment schien sie auf einen Speicher zuzugreifen, der vielleicht aus einem ganz anderen Lebenszusammenhang stammt.

Es war nicht Lernen im klassischen Sinn, es war, als würde eine verschlossene Tür aufspringen.

Und ich kenne es von mir selbst:
Ich habe ein Foto gemacht, auf dem eines meiner Kinder eine Wendeltreppe erklimmt.
Vorne im Bild ein kleiner Fuß, so aufgestellt, dass er bremst oder abstützt.
Für die meisten nur ein süßes Bild.
Für mich ein eingefrorener Moment von vollkommen verkörperter Intelligenz: Muskeln, Gleichgewicht, Koordination, Selbstorganisation, alles sichtbar in dieser Haltung.
Ich sehe solche Veränderungen auch bei Menschen nach einer Feldenkrais-Lektion, wenn sie gehen oder stehen.

Ich sehe das Unsichtbare im Sichtbaren.

Das ist Durchdringung: Wissen, das durch den Körper gereist ist, das erlebt, gefühlt und verinnerlicht wurde, bis es von selbst wirkt.

So lernt ein Mensch wirklich.
So entsteht innere Stärke, Orientierung und ein eigener Kompass.

Doch manchmal frage ich mich, ob es wirklich nur ein Versehen ist.

Ob es wirklich nur Unkenntnis ist, die dazu führt, dass wir Kindern den Boden unter den Füßen wegziehen.
Oder ob wir, bewusst oder unbewusst, ein System geschaffen haben, das Menschen lieber angepasst, berechenbar und austauschbar hält, statt eigenständig, spürend und stark.

Denn wer seinen inneren Kompass verloren hat, lässt sich leichter von außen lenken.

Unsere Systeme, ob Schule, frühe Förderung oder gesellschaftliche Erwartungen, drängen uns in die entgegengesetzte Richtung.

Wir ziehen Kinder zu früh in den Kopf, bevor sie ihre Welt mit allen Sinnen erobert haben.
Wir reißen sie aus dem Spüren heraus und lehren sie, äußeren Vorgaben zu folgen, statt der inneren Stimme.

So verlieren wir ganze Generationen von Menschen, die zwar wissen, wie man funktioniert, aber nicht, wie man lebt.

Das ist keine kleine Kurskorrektur, die wir brauchen.
Es ist eine Umkehr.

Zurück zu dem Punkt, an dem wir den Sinn für das Wahre verloren haben.
Zurück zu dem Ort, an dem Lernen noch aus Erfahrung, aus Berührung, aus dem eigenen Erleben wuchs.

Platon sagte: „Lernen heißt, sich an das zu erinnern, was die Seele schon weiß.“

Ich glaube, dass wir genau diese Art des Lernens wieder brauchen, das Lernen, das aus der Tiefe kommt, das durch den Körper gereist ist und im Herzen Wurzeln geschlagen hat.

Nicht das Anfüllen von Köpfen mit fremden Inhalten, sondern das Freilegen der eigenen inneren Spur.

Wer jemals gesehen hat, wie ein Kind sich selbst eine Treppe erarbeitet, wie ein Handwerker sein Werkzeug führt oder wie ein Körper nach einer guten Bewegungseinheit oder Körperbehandlung  „neu geht“, der weiß:

Das ist die Wahrheit, die wir retten müssen.

Weil nur Wissen mit Hand und Fuß uns aufrecht trägt und uns zu dem macht, was wir wirklich sind: 

Menschen, die sich erinnern.

 

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