Benny war mal wieder völlig ausgerastet. Aus der Sicht eines Erwachsenen hätte man meinen können, dass es doch nur eine Kleinigkeit war, dass seine Mutter ihm untersagt hatte, dieses Computerspiel zu spielen.
Sie konnte einfach nicht nachvollziehen, dass ihn dieses Verbot hat die Fasson verlieren lassen. Er wütete im Wohnzimmer umher, schrie laut durch die Gegend und hatte sogar Mutters iPad auf den Boden geknallt. Die Situation war völlig aus dem Ruder geraten und Nina blieb nichts anderes übrig, als ihn lautstark und vehement in sein Zimmer zu verbannen. Sie tat dies aus zweierlei Gründen. Zum einen wollte sie eine Pause, sie war so sehr mit ihrem Latein am Ende, dass sie sich nicht anders zu helfen wusste, als der Situation in irgendeiner Weise einen Stop-Riegel zu verpassen.
Zum zweiten war es die am Ende ihrer Scala liegende Möglichkeit, ein letztes Quentchen Erziehung walten zu lassen. Sie musste Benny irgendwie zur Ordnung rufen. Es ging doch nicht so weiter, dass er schon in seinem zarten Alter den Tanz im Haus führte?

In seinem Zimmer ging es dann gleich weiter. Die Tür knallte, der Inhalt seiner Regals flog krachend auf den Boden. Eine Wasserflasche wurde an die Tür geknallt.

Inzwischen war Nina noch unsicherer. Was sollte bloß werden, wenn er erst mal 2- 3 Jahre älter wäre? Wie sollte sie diese Situation wieder seinem Vater erklären?

Er, der den ganzen Tag nicht da ist, würde wieder sagen, dass man einfach härter und konsequenter durchgreifen müsse. Er, der kaum Zeit für den Jungen hatte, würde so überzeugend mit seinen Sprüchen daher kommen.
Mögliche Kommentare ihres Mannes hatten noch zusätzlich ihr destruktives Kopfkino angeregt und sie verunsichert. Sie spürte ihre Ohnmacht bis in die Fußsohlen – verdammt!

Kochend vor Wut und im selben Moment außer Gefecht gesetzt, wandte sie sich an Friederike. Sie hatte 3 Jungs und wohnte in der Nachbarschaft.
Sie musste ihr doch irgendwas plausibles sagen können? Etwas, das ihr Unwohlsein ein wenig lindern würde?

Friederike hatte sich alles angehört. Sie ließ Nina komplett ausreden und konnte richtig gut nachvollziehen, in welcher Zwickmühle sich diese Frau gerade befand. Es war ein ganz elender Punkt, von weder nach rechts noch nach links rücken können. Ein Punkt der maximalen Entfernung zu einer gewissen Souveränität im Erziehungsalltag.
Der Ausblick auf das Gespräch mit ihrem Mann und die Vorstellung von weitern Eskalationen in der Familie, wenn Benny denn mal älter sei, fesselten Nina mit Panzertape und nach hinten gebundenen Händen an diesem Marterpfahl fest, den sie auch nur allzu gut kannte. Keine Möglichkeit für Veränderung, keine Entspannung in Sicht.

„Ich kenne den Ort sehr gut, an dem du dich gerade befindest. Früher, noch bevor ich das dritte Kind hatte, fühlte ich mich selbst so ‚ungeschmeidig‘. Ich dachte, dass sich das nie ändern würde“, fing Friederike ganz ruhig und einfühlsam an zu sprechen.

Sie fuhr damit fort, Nina zu erklären, dass sie seinerzeit viele Bücher gelesen hatte und endlose Gespräche mit Freundinnen geführt hätte. An einem ganz bestimmten Punkt sei dann die Erkenntnis in ihr aufgetaucht, dass sie die Lösung für diesen Nerventerror an einer ganz anderen Stelle würde suchen müssen.

Der bisher unbekannte Ort hätte diese Straßenschilder am Wegesrand stehen. Auf den Wegweisern würden diese Hinweise für jeden Menschen (in einer anderen Reihenfolge) zu lesen sein:

  • Durchatmen
  • Neugierig sein, was genau das Ärgernis sein könnte
  • Unmittelbarkeit
  • Sich selbst die Erlaubnis geben, auch sauer sein zu können.
  • Mir reichts auch
  • Es gibt Regen und Sonnenschein
  • Manche Kinder sind so, es ist ihre Art sich ins Leben zu stellen.
  • Einfach mal selbst die Situation und den Raum verlassen
  • Aus dem Erziehungsmodus aussteigen mehr in Beziehung denken lernen
  • Ich kann nicht für Dauerglück beim Kind sorgen
  • Warum nicht mal paradox reagieren, unerwartet eben
  • Rastplatz 300 Meter
  • Wohlwollen für mich
  • Stop
  • Halteverbot im Wendehammer

Friederike erklärte ihr, dass sie selbst sich irgendwann vorgenommen hätte, diese Schwere aus dem Alltag mit ihren Jungs zu verbannen. Sie wäre zu dem Schluss gekommen, dass sie es durch aufgesetzte Erziehungsmaßnahmen nicht in den Griff bekommen würde. Also hätte sie die Entscheidung getroffen, für sich selbst mehr Leichtigkeit und Einfachheit zu integrieren. Sie wollte mehr für sich sorgen und nicht ihren Seelenfrieden von der Folgsamkeit der Kinder abhängig machen. An einem gewissen Punkt sei ihr klar geworden, dass sie ganz radikal etwas ändern würde müssen, sonst würde sich diese Stimmungssog nach unten verselbstständigen. So wollte sie nicht mehr leben. Sie entschied sich für eine bessere Lebensqualität für sich selbst!

„Ja , aber ….“ kam es aus Nina herausgeplatzt. „…ich bin verloren in dem ganzen anstrengenden Gedöns, ich kann nicht mehr.“

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„Ich weiß“ ,sagte Friederike. „Was du vielleicht tun kannst, ist die Entscheidung zu treffen, dich ab sofort mehr um dich selbst zu kümmern, dafür zu sorgen, dass es dir gut geht und auch, wenn es dir befremdlich erscheint, mal etwas Energie von deinem Sohn abzuziehen, das hat mit damals sehr geholfen.“

Beim Zuhören spürte Nina, wie Friedrikes Worte ganz unvermittelt in ihr ‚klingelten‘, sie fanden einen gewissen Widerhall. Sie spürte, dass dies ihre Weg sein würde. Sie würde diese Information mit nach Hause nehmen und mal eine Nacht darüber schlafen. Zuviel war in ihr war in Aufruhr, um so einfach ‚ja‘ dazu sagen zu können.

Schon auf dem Nachhauseweg spürte sie, wie sich ihre Körperzellen neu zu sortieren schienen. Als ob ein unsichtbarer Magnet ihrem Inneren eine neue Ausrichtung gegeben hätte.
Als sie die Haustür betrat, war ganz wundersam eine erste Veränderung eingetreten. Benny saß im Garten. Wortlos ging sie auf ihn zu. Benny konnte sie zunächst noch nicht sehen, aber er konnte sie längst erspüren. Er konnte empfinden, dass Mama innerlich leichter war. Noch zögerte er einen Moment, weil auch er verunsichert war. Als sie einander in die Augen sahen, war alles klar. Wortlos nahmen sie sich in den Arm. Kiloweise fiel die Schwere von beider Schultern.

Alles ist gut.

 

Das nächste Tagesseminar:  „Wie du Stress und ‚genervt sein‘ im Alltag mit deinem Kind in Leichtigkeit und Freude verwandelst.“ findet schon bald statt. Info dazu findest du hier.

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Jetzt reg dich mal ab!