Diesen Beitrag habe ich für eine Blogparade geschrieben, die von Susanne Petermann im Rahmen ihres Stiefmutterblogs ausgeschreiben wurde. Das Thema lautet:
Was macht mich zu einer Mutter? Der Titel hat mich sofort angesprochen und mit meinem Beitrag schreibe ich mit einem Blick auf Mütter, die in unserer Gesellschaft mit einem großen Maß an Unverständnis und vor allem Vorurteilen behaftet werden. Ja, ich gehöre auch zu diesen Müttern.
Über diesen link stiefmutterblog findest du weitere interessante Beiträge und hast bis Ende des Monats auch noch Gelegenheit selbst dort mitzumachen.
Ich mache es mir echt leicht als Mutter, meinen die anderen.
Ja, das stimmt – aber ganz anders als du denkst.
„Du machst es dir echt leicht“, meinte eine Freundin kürzlich zu mir. Andere Frauen aus meiner unmittelbaren Umgebung sprechen es nicht aus. Es ist ihnen aber anzumerken, dass sie nicht so wirklich mit meinem Weg der Mutterschaft einverstanden sind. Meist wird das Thema höflich nicht erwähnt. Man erkundigt sich, freundlich interessiert, nach meinen Kindern. Aber so wirklich gefragt hat mich noch nie jemand, wie ich es schaffe meine Kinder in dieser Art loszulassen.
Die Liste der Vorurteile ist wirklich groß, daher habe ich in der Vergangenheit bewusst dazu geschwiegen. Ich habe nicht soviel darüber erzählt, dass meine Kinder alle ein Internat besuchen oder besucht haben.
Ich habe sechs Kinder im Alter zwischen 23 und 9 Jahren. Im vergangen Jahr hat auch mein jüngster Sohn das Haus verlassen. Auch er wollte, wie alle seine Geschwister, auch dieses Internat mit dem Namen Summerhill – school in England besuchen, dass den Kindern ein möglichst freies und selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
Die Kinder leben dort in einer großen demokratischen Gemeinschaft. Der Unterricht ist völlig freiwillig. Man kann ihn besuchen oder eben auch etwas anderes tun. Die Belange der Schule werden im meeting geregelt. Dieses meeting findet mehrmals wöchentlich statt. Erwachsene und Kinder haben bei Entscheidungsprozessen gleiche Rechte.
Fast ein Jahr hat mein Prozess darin gebraucht, bis ich in der Lage war, auch dieses, mein jüngstes Kind in der Art loszulassen. Bis dahin hatte ich 24 Jahre immer Kinder im Haus. Einen Tag vor seinem achten Geburtstag ist er schwups mit seinen Geschwistern in den Flieger gestiegen und hat damit einen neuen Abschnitt in seinem Leben begonnen. Er hat es prima gemacht. Er fühlt sich dort wohl. Manchmal höre ich 2-3 Wochen nichts von ihm.
Ob ich es mir leicht mache?
Nein, überhaupt nicht.
Mütter, die ihre Kinder in ein Internat geben, oder beim getrennt lebenden Vater wohnen lassen, werden noch immer nicht wirklich als ‚gute‘ Mutter gesehen. Man versteht nicht, warum sie denn Kinder bekommen und dann angeblich nicht bei sich haben wollen? So zumindest wird es ihnen unterstellt.
Gefragt hat mich im Grunde noch nie jemand, was für mich der ausschlaggebende Punkt ist, dass sie zeitweise nicht hier im Haus leben und um die Ecke zur Schule gehen?
(Dass sie die andere Hälfte des Jahres dann zu Hause sind und zwar den ganzen Tag, das zählt nicht)
Man erkennt nicht, dass es eine erarbeitete Stärke als Mutter ist, die Kinder in dieser Art loszulassen. Im öffentlichen Bild wird es leider oftmals als ein Mangel an ‚richtiger‘ Liebe oder Mangel an diesem ‚Mutterliebeding‘ gesehen.
Würdest du mich jetzt fragen, dann würde ich antworten, dass mein Wunsch nach, sowie meine Überzeugung für ein freies und selbstbestimmtes Leben-Lernen der Kinder so groß ist, dass ich diese inneren Schritte des Loslassens und erneuten Abnabelns gegangen bin und weiterhin gehe.
Mache ich mir das leicht?
Nein, überhaupt nicht.
- Ich lasse los, zu wissen, was sie den ganzen Tag tun.
- Ich lasse los, ob sie in den Unterricht gehen oder nicht.
- Ich lasse los, mich über die Maßen einzumischen, wie sie ihr Leben verbringen.
- Ich lasse los, darauf zu schauen für was sie ihre Geld ausgeben.
- Ich lasse los, mit wem sie ihre Zeit verbringen.
- Ich lasse los, wann sie ins Bett gehen.
- Ich lasse los, dass ich nicht unbedingt in ihrer Nähe sein kann, wenn sie mal krank sind.
- Ich lasse los, mich in irgendeiner Form einzumischen, welche Interessen sie in beruflicher Hinsicht haben.
- Ich lasse los, welche verstaubten Ideen ich zu erzieherischen Maßnahmen habe.
- Ich lasse los, was ein Bild einer ‚guten‘ Mutter ist.
- Ich lasse los, welche eingeschränkten Ideen ich zum Thema Bildung der Kinder habe.
- Ich lasse los, dass die Kinder ein Abitur benötigen, um ein zufriedener Mensch zu sein.
- Ich lasse los, welche Ideen ich zu Bindung und Beziehung habe.
- Ich lasse los, welche Ideen ich zum Zusammenleben in einer Familie habe.
- …
Wenn Helikoptermütter ihre Kinder in einer recht engen Umlaufbahn umkreisen, dann befindet sich meine Umlaufbahn irgendwo da draußen im Universum.
Bedeutet es, dass es eine gestörte oder zu lose Verbindung zwischen uns gibt?
Nein, überhaupt nicht.
Es bedeutet, dass jeder Meter, den ich losgelassen habe, erarbeitet ist. Es ist ein Prozess des langsam zulassen und ersetzen von physischer Nähe hin zu einer anderen Form von Verbindung oder Beziehung. Es it ein bewusster Weg von ‚Vertrauen wieder erlernen‘. Es hat mit fallen lassen, oder die Kinder gar sich selbst zu überlassen gar nichts zu tun.
Für mich ist es eine Haltung, die ich entwicklt habe und die Kraft, dies zu erreichen wurde aus meinen Werten und Vorstellungen gespeist, sie sind sehr stark in diesem möglichst freien Leben-Lernen für meine Kinder verwurzelt. Um das hervorzubringen, muss ich mich diesem freien, selbstbestimmten Lernprozess selbst stellen. Ich muss mich in einer Art nach entfalten und herausfinden, was auch für mich stimmig und wichtig ist und das versuche ich mit den Ideen der Kinder in Einklang zu bringen.
Mache ich mir das leicht?
Nein, überhaupt nicht.
Und im selben Moment werden die Dinge auf wundersame Art leichter im Zusammenleben mit den Kindern. Aber ganz anders, als du denkst.
Gerne teile ich meine Expertise mit dir. Mein nächstes Tagesseminar findet am So 25.06.17 statt. Info findest du hier: www.wundersameslernen.de/termine/
Liebe Uta,
ganz herzlichen Dank für diesen sehr besonderen Beitrag zu meiner Blogparade. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht für dich ist loszulassen, und genauso wenig leicht, deinem Umfeld zu erklären, warum du es so handhabst.
Susanne
Liebe Susanne, herzlichen Dank für die Möglichkeit hier schreiben zu dürfen.Schauen wir mal, was jetzt kommt? LG Uta
Sehe ich genauso, Susanne und Uta. Für mich wäre es unmöglich. Vielleicht vor dem Gesichtspunkt, ein halbes Jahr die Kinder ganz daheim zu haben … Vielleicht wäre es mir dann möglich? Aber ich habe Zweifel daran. Meine Älteste ist 17 und jedesmal, wenn sie von ausziehen spricht, spüre ich einen Stich, eine latente Angst vor dem Tag, der unweigerlich kommen wird. Und natürlich bin ich megastolz auf ihre Selbstständigkeit, ihr Vertrauen darin, dass dieser Tag kommt und dass er gut sein wird. Doch ich bin dankbar, dass es noch nicht ganz soweit ist. Vielleicht wird es schon im Sommer sein, wenn sie ein FöJ-Platz bekommt. Keiner der Plätze, für die sie sich beworben hat, ist in der Nähe. Ganz sicher werde ich dann an Dich denken, Uta 🙂
Liebe Beatrice, danke für deinen Kommentar und vor allem für dein Wohlwollen, obwohl du dir diesen Weg nicht vorstellen kannst. LG Uta
Liebe Uta, ich kann ihn mir nicht vorstellen, weil ich es nicht fertig bringe … Für meine Kinder wäre es womöglich ein tolles Abenteuer?!
Ich drück Dich 🙂
Ja. <3 ... Es ist einfach wie es ist ....LG Uta
Liebe Uta,
ich habe selbst keine Kinder und kann daher nicht einschätzen wie schwer es einer Mutter tatsächlich fällt, das eigene Kind schon so früh in andere Hände abzugeben.
Allerdings bin ich ein ehemaliges Internatskind und habe von der 9. Klasse bis zum Abitur eine Schule für vertiefte musikalische Ausbildung besucht. Damals war ich nur 30 km von zu Hause weg, aber in einer Zeit ohne Handy und Internet von Sonntagabend bis Freitagnachmittag für meine Eltern kaum bzw. gar nicht erreichbar.
Meine Mutter musste sich damals bestimmt auch etliche Vorwürfe und Seitenhiebe durch Freunde und Bekannte gefallen lassen. Und manchmal hat sie mich auch ein wenig spüren lassen, wie schwer es ihr fällt die Kontrolle über mich aufzugeben.
Für mich persönlich waren diese vier Jahre die beste Zeit meines Lebens, das Internat, meine Freunde und die Schule wurden sehr schnell mein Zuhause, eine Art Familie. Ich liebte die Unabhängigkeit und das Gefühl von Eigenverantwortung. Das Zusammensein mit Gleichaltrigen die ähnlich dachten und fühlten wie ich, die Musik genauso lebten und liebten wie ich – diese Gemeinschaft war wundervoll. Die Älteren unterstützten die jüngeren Schüler, es gab neben den schulischen Verpflichtungen viel Spaß und Freude. Vom ersten Tag an genoss ich dieses Leben in vollen Zügen und bin meinen Eltern bis heute dankbar. Sie haben meinen Wunsch, diese Schule und das Internat zu besuchen respektiert und unterstützt. Damit haben sie mir den Weg in ein selbstbestimmtes, zufriedenenes und erfülltes Leben ermöglicht. Sie haben mir die Freiheit geschenkt, die Dinge zu tun die für mich von Bedeutung sind. Sie haben still und meist vorwurfsfrei den Trennungsschmerz ertragen. Die Beziehung zu meinen Eltern ist dadurch nicht brüchiger sondern eher fester geworden.
Liebe Uta, Du machst Deinen Kindern aus meiner Sicht ein wunderbares Geschenk. Sie dürfen sich frei entfalten. Einen geliebten Menschen loszulassen damit er glücklich sein kann hat etwas mit Liebe und Vertrauen zu tun. Ich bin überzeugt dass Deine Kinder Dir dafür immer dankbar sein werden.
Viele Grüße
Bettina
Liebe Bettina, ganz herzlichen dank für deine unterstützenden Worte. Du schreibst mit so einer tiefen Überzeugung und auch aus dem Gefühl des genährt seins. Es liest sich ganz wunderbar, einmal wahrzunehmen, dass es auch Menschen, in diesem Fall (aus Kindersicht) gibt, die ihren Weg genossen haben. Ich lese auch eine tiefe Wertschätzung für deine Eltern und eine Anerkennung für den speziellen Weg, den sie seinerzeit gegangen sind. Danke dafür. LG Uta
Liebe Bettina, Liebe Uta,
In meinem Freundeskeis sind einige ehemalige Internatskinder. Alle sagen übereinstimmend, dass es eine tolle Zeit war.
Ich selbst habe mir jahrelang gewünscht, auf ein internat zu gehen. Ich mochte meine Schule nicht sehr – und, nun ja, damals las man als Mädchen eben Hanni&Nanni…
Herzlich, Susanne
Hallo Susanne, ich danke dir….die Wege sind schon recht eigen…Einen Grund mehr, dass wir nicht alle Kinder über einen Kamm scheren dürfen…. Alles Liebe Uta
Bin Mutter von drei „großen“ Jungs (29, 27, 23) und wir haben einen wunderbaren Kontakt.
Ältester und Jüngster Internantskinder und auch noch auf zwei Verschiedenen.
Beide sagen, dass es für sie nix besseres gab/gibt.
Für den Mittleren, der im ersten Moment des Verlustes seines großen Bruders auch dort hin wollte, kam es nach einem Testbesuch bei ihm überhaupt und gar nicht in Frage, nie wieder.
Jeder von ihnen konnte in dem entsprechenden Moment frei wählen, bzw. den Entschluss fassen (Ältester ging mit 15, Jüngster mit 12)
Ich konnte „nicht wirklich“ wählen, weil ich mit mir klar war, dass das deren Weg ist.
Dumme Bemerkungen mir gegenüber blieben nicht aus, doch mein Bauch sagte mir, dass es gut so ist, auch wenn ich jedesmal zu Beginn dieser Zeit Rotz und Wasser geflennt hab.
Es hat sich so gelohnt!
Leicht gemacht? Nein, das ist nicht leicht und dennoch spannend, weil es so ein Urvertrauen lockt. Ich habe diesen drei Kindern von Anfang an vertraut.
Tu ich bis heute, sie ebenso und damit können wir uns einfach lassen…..
Liebe Grüße Melanie
Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich mochte die Bemerkung, dass diese ‚Herangehensweise‘ unser ‚Urvertrauen lockt‘ sehr. Ja, ich glaube, wir werden, auch durch Situationen dieser Art, an das Vertrauen erinnert….. Kann ich bestätigen. Danke für den Kommentar. LG Uta
Danke für diesen Beitrag. Ich kann dir nachempfinden. Ich möchte meinen drei Jungs (16, 11, 5) auch ein möglichst selbstbestimmtes Leben lassen. Der Vater sieht das anders. Wir haben damit alle große Herausforderungen zu bestehen. Der 11jährige wurde gestern gegen seinen Willen vom Vater mit Gefolge – Polizei, Gerichtsvollzieher – abgeholt. Damit er wieder in die Schule gehen kann. Denn ich hatte vor ein paar Wochen gemeinsam mit ihm entschieden – ihn nicht mehr hinzuschicken. Und er hat sich in dieser Zeit so wundervoll entwickelt. Für seinen Vater zählt nur der Abschluss… und nun erfahre ich, wie sich Ohnmacht anfühlt, Menschenrechtsverletzung von den sogenannten Behörden „zum Wohl des Kindes“…. und das Gefühl, ihn nicht beschützen gekonnt zu haben.
Hallo Heike, auch ich kann nachempfinden, welches Gefühl der Ohnmacht du haben musst. Ich sende gute Kraft und hoffe , dass ihr im Sinne des Wohles von allen Beteiligten eine gute Lösung findet. Lieben Gruß Uta
Liebe Heike,
Das klingt ja dramatisch. Wie geht es dem Jungen jetzt? Das ist ja schon ein einschneidendes Erlebnis, vom Gerichtsvollzieher und der Polizei abgeholt zu werden.
Wenn ich fragen darf: Warum hat dein Mann diese Entscheidung denn getroffen? Habt Ihr die Schulfreistellung nicht gemeinsam beschlossen?
Und wie war denn dein/euer ursprünglicher Plan? Homeschooling oder eine andere Art Schule?
Alles Liebe, Susanne
Liebe Uta,
ich danke dir für diesen Beitrag. Wunderbar meine Gedanken in Worte gefasst.
Ich kenne diese Situation. Wir praktizieren das paritätische Wechselmodell (laut RA).
So ungewöhnlich und schwierig dieses Zusammenleben auch manchmal ist, ich stehe dahinter und lerne jeden Tag dazu. Genau wie meine drei Kinder … und sie lernen worauf es wirklich ankommt.
Danke für dein Engagement, super!
Liebe Manuela, herzlichen Dank für deinen Kommentar.Schön, dass du dich in dem Beitrag wiederfinden konntest. Ich wünsche euch weiterhin gutes Gelingen auf euerem Weg. Alles Liebe Uta
Liebe Manuela,
Hättest Du vielleicht Lust, dich mit mir einmal über das Wechselmodel auszutauschen? Mich würden Deine Erfahrungen sehr interessieren.
Liebe Grüße,
Susanne
[…] über Ich mache es mir echt leicht als Mutter, meinen die anderen. — Uta Henrich […]
Super-Klasse! Yes…
Thank you…Liebe Grüße Uta